Die Fabrik der Zukunft spricht unsere Sprache

Künstliche Intelligenz soll in Zukunft Industrieanlagen überwachen und in Stand halten: Dazu muss sie allerdings menschliche Texte verstehen können – an der TU Wien zeigt man, wie das geht

11.08.2021 - Österreich

Die Komplexität großer Fertigungsanlagen in der Industrie ist für eine einzelne Person kaum noch überschaubar. Wenn man eine industrielle Fertigungsstraße optimal in Stand halten, überwachen und warten möchte, ist es daher sinnvoll, auf künstliche Intelligenz (KI) zu setzen.

TU Wien

Fazel Ansari in der Pilotfabrik der TU Wien

Dafür gibt es unterschiedliche Strategien. Die naheliegendste wäre wohl, Maschinen mit Sensoren auszustatten und aus den Sensordaten auf den Zustand der Anlage zu schließen. Doch ein großer Teil der Information über Maschinen und Fertigungsanlagen liegt nicht in Form digitaler Messdaten vor, sondern in Form von Texten, die von Menschen geschrieben wurden – vom Maschinenprüfbericht bis zum Schichtprotokoll, in dem auf Probleme hingewiesen wird. Könnte eine künstliche Intelligenz all diese Daten nutzen, wäre das ein gewaltiger Schritt nach vorne. Genau daran arbeitet man nun an der TU Wien – man spricht von „Text Mining“ und „Instandhaltung 4.0“.

Der Algorithmus, der lesen kann

„Wir kennen das wohl alle – man schreibt etwas, speichert es irgendwo ab und vergisst es dann“, sagt Dr. Fazel Ansari vom Institut für Managementwissenschaften der TU Wien. „Ein Prüfbericht wird vielleicht kurz durchgeblättert, dann verschwindet er in der Schublade. Um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen und die nötigen Maßnahmen zu veranlassen braucht man viel Erfahrung.“

Menschliches Erfahrungswissen ist in der Industrie extrem wertvoll, und es wird wohl auch in Zukunft unersetzbar bleiben. Fazel Ansaris Vision ist, die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine effizienter zu gestalten. Wenn Mensch und Maschine miteinander kommunizieren – in welcher Sprache soll das dann geschehen? In der Sprache der Maschine – etwa in Form langer Tabellen mit Zahlencodes, oder in menschlicher Sprache?

„Wenn es uns gelingt, natürliche menschliche Sprache für künstliche Intelligenz in der Industrie verstehbar zu machen, dann eröffnet sich uns ein riesengroßer Schatz an zusätzlicher Information“, sagt Fazel Ansari. „Stellen wir uns vor, wie viel Wissen man über eine Fertigungsanlage extrahieren und nutzen kann, aus schriftlichen Aufzeichnungen der letzten zehn Jahre – aus Schichtbüchern, Protokollen oder Endberichten der Qualitätskontrolle.“ Viel umfassender und präziser als jeder Mensch könnte eine künstliche Intelligenz automatisch Muster aus großen Datenmengen erkennen – etwa typische Probleme, die immer wieder gemeldet werden, bevor es dann zu einem größeren Schaden kommt. In diesem Fall könnte die künstliche Intelligenz rechtzeitig Gegenmaßnahmen vorschlagen.

Maßgeschneiderte Lösungen für jeden Anlagentyp

Allerdings ist es nicht einfach, menschliche Texte für künstliche Intelligenz aufzubereiten. „Man kann nicht eine perfekte KI entwickeln, die dann für jeden beliebigen Typ von Fertigungsanlagen genutzt werden kann“, sagt Fazel Ansari. „Man muss für jeden Anlagentyp maßgeschneiderte Lösungen entwickeln.“ Manchmal liegen Daten in Form handschriftlicher Texte vor – dann müssen die zunächst digitalisiert werden. Je nach Anlagentyp und Branche sind unterschiedliche Begriffe wichtig, darauf muss die KI zunächst einmal trainiert werden.

Damit eine künstliche Intelligenz tatsächlich „verstehen“ kann, worum es in den Texten geht, muss sie die Gesamtsituation kennen: Sie braucht ein Verständnis der Maschine, der Prozesse und sogar Wissen über die Rolle der beteiligten Menschen.

Erst wenn die KI dieses Verständnis hat, können Texte richtig eingeordnet werden. Dabei geht es nicht bloß um statistische Analysen, etwa das Detektieren bestimmter Begriffe, die plötzlich häufiger vorkommen als früher. Algorithmen können auch zwischen positiven und negativen Bewertungen unterscheiden – das bezeichnet man als „Sentiment-Analyse“. Man kann untersuchen, wie sich diese subjektiven Bewertungen im Lauf der Zeit verändert haben, auch Assoziationen zwischen verschiedenen Begriffen werden aufgespürt und quantifiziert.

„In diesem Bereich gibt es schon sehr viel Forschung. Teilweise können wir bestehende KI-Lösungen nutzen und an unsere Anforderungen anpassen. Aber für die Anwendung dieser Text Mining-Algorithmen im industriellen Umfeld ist noch sehr viel Forschung notwendig“, sagt Fazel Ansari. „In der Forschungsgruppe Smart and Knowledge-Based Maintenance haben wir viel Erfahrung im Bereich der industriellen Instandhaltung, bei uns laufen derzeit mehrere Forschungsprojekte aus diesem Themenbereich. Dieses Fachwissen ist sehr wichtig, um die Algorithmen anwenden und optimieren zu können.“

Besonders im Versicherungswesen könnten die Text Mining-Ansätze der TU Wien disruptives Potenzial entfalten: „Eine Firma, die Versicherungen für teure Geräte anbietet, legt natürlich Wert auf optimale Instandhaltung“, sagt Fazel Ansari. „In diesem Bereich kann man viel Geld sparen, wenn man bessere Methoden findet, Fehler rechtzeitig zu entdecken.“

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