Silizium-Kristalle gezielt aufwachsen lassen

Fraunhofer IWM stellt Konzept der »Triboepitaxie« vor

07.10.2021 - Deutschland

Vier Freiburger Wissenschaftlern ist es weltweit erstmals in Simulationen gelungen, durch Scherung verursachte Amorphisierung und Rekristallisierung von Silizium-Kristallen zu nutzen, um Kristalle zielgerichtet aufwachsen zu lassen. In Zukunft könnten Fachleute mithilfe dieses Konzepts kristalline Siliziumstrukturen für nanotechnologische Anwendungen, beispielsweise Nano-Elektronik, maßschneidern. »Triboepitaxie«, die grundlegende Idee, die das möglich machen könnte, stellt das Team in der Zeitschrift »Physical Review Letters« vor.

Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM

Die Atome des oberen Kristalls (hier in blau dargestellt) gehen zunächst in eine amorphe Phase über und passen sich dann der Struktur des unteren Kristalls an.

Silizium ist der wichtigste Werkstoff in der Mikro- und Nanoelektronik. Dennoch ist es nach wie vor mit erheblichem Aufwand verbunden, aus diesem Material kristalline Strukturen mit nanoskaliger Präzision herzustellen. Um Silizium selektiv epitaktisch auf einer Oberfläche aufzuwachsen, muss letztere teuer und zeitaufwändig vorstrukturiert werden, um insbesondere den Ort des Wachstums zu kontrollieren. Eine mechanische Methode, in der ein Kristall als Stift verwendet wird, um kristalline Nanolinien auf einem anderen Kristall ganz ohne Vorstrukturierung direkt zu ‚schreiben‘, wäre ein Durchbruch. Thomas Reichenbach, Dr. Gianpietro Moras und Prof. Dr. Michael Moseler vom Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM, Mikrotribologie Centrum µTC, in Kooperation mit Prof. Dr. Lars Pastewka vom Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg haben nun in Simulationen etwas entdeckt, das dies in Zukunft möglich machen könnte.

»Reiben zwei Siliziumkristalle in einer Scherbewegung aneinander, entsteht eine amorphe Schicht an der Grenzfläche«, erklären die Tribologen. Normalerweise vergrößere sich diese mit der Zeit. »Wir haben jedoch festgestellt, dass die Dicke bei geringem Druck einen konstanten Wert annimmt, obwohl ständig neue Atome in die amorphe Phase übergehen«, so Thomas Reichenbach. »Das bedeutet, dass es einen entgegengesetzten Prozess geben muss, in dem Atome genau umgekehrt aus der amorphen zurück in die kristalline Phase übergehen. Es entsteht ein Gleichgewicht.«

»Triboepitaxie«: Ein Kristall wächst auf Kosten eines anderen

Das wollen die Triboexperten nutzbar machen. In Simulationen haben sie gezeigt, dass es auf die Ausrichtung der Kristalle ankommt. Wenn beide Kristalle dieselbe Orientierung besitzen, variiert die Position der amorphen Lage nur stochastisch ohne erkennbaren Trend. »Wenn wir jedoch einen der beiden in Kontakt stehenden Kristall drehen, sodass die Scherbelastung in beiden Kristallen entlang unterschiedlicher kristallografischer Richtungen wirkt, wird diese Bewegung gerichtet«, erläutert Dr. Moras. Das Resultat: Die amorphe Lage wandert immer weiter in eine Richtung, der eine Kristall wird abgetragen und der andere wächst.

Im nächsten Schritt wollte das Team herausfinden, wie sich steuern lässt, welcher Kristall wächst und welcher verschwindet. Dies erklären die Wissenschaftler mit Blick auf die atomaren Prozesse: »Wenn wir eine Scherspannung anlegen, ergeben sich für die beiden unterschiedlich ausgerichteten Kristalle Energieunterschiede aufgrund verschiedener elastischer Konstanten«, so Reichenbach. Simulationen verschiedenster Systeme zeigten, dass immer der Kristall mit der geringeren elastischen Energiedichte wächst. »Da er energetisch günstiger ist, passen sich die Atome in der amorphen Phase bevorzugt seiner kristallinen Struktur an.« Im Ergebnis wird der andere – unter Scherbelastung energetisch ungünstigere – Kristall kleiner. Dieses Phänomen bezeichnet das Team als »Triboepitaxie«.

Dieses Wissen könnte zukünftig in einem Nanolithografie-Verfahren Anwendung finden. Ein Modellexperiment dazu schlagen die Tribologen in ihrem Paper ebenfalls vor. »Mit einer schnell oszillierenden kristallinen Spitze, die man zusätzlich langsam entlang eines beliebigen Pfades bewegt, müsste es möglich sein, kristalline Strukturen auf einen anderen Kristall zu schreiben«, erklärt Dr. Moras. »Vorausgesetzt, die effektiven Schermodule der beiden Kristalle unterscheiden sich.« Die Dicke der Kristalllinien lässt sich dabei durch die Anzahl der Oszillationen steuern, die Breite der Spur wird durch die Amplitude der Schwingungen bestimmt. »Bisher ist das alles Theorie«, so Dr. Moras. »Aber in den Simulationen funktioniert es zuverlässig und wir hoffen, dass die Idee der ‚Triboepitaxie‘ in Zukunft auch experimentell erforscht und nutzbar gemacht wird.«

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