Neue Bewertung alter Chemikalien notwendig?
Chlorierte organische Stoffe können in der Atmosphäre in Dioxine umgewandelt werden
Werden die Risiken problematischer Chemikalien angemessen beurteilt? In bestimmten Fällen wohl eher nicht – diesen Schluss zieht ein chinesisches Forschungsteam aus seiner in der Zeitschrift Angewandte Chemie veröffentlichten Studie. Diese zeigt auf, dass chlorierte flüchtige organische Verbindungen in der Atmosphäre auf Mineralstaubpartikeln unter Sonneneinstrahlung in hochtoxische polychlorierte Dibenzo-p-Dioxine und Dibenzofurane umgewandelt werden können.
Gefährliche Chemikalien werden häufig im Rahmen nationaler und internationaler Regelwerke bewertet, die sich in erster Linie auf deren toxische Eigenschaften, Umweltpersistenz und Anreicherung in Organismen konzentrieren. Welche Umwandlungen sie in der Atmosphäre durchlaufen, wird dagegen kaum oder gar nicht berücksichtigt, obwohl sekundäre Umwandlungsprodukte eine höhere Toxizität und Persistenz aufweisen können. Für eine adäquate Bewertung der Umwelt- und Gesundheitsrisiken kommerzieller Chemikalien sollten diese aufgeklärt werden.
Das Team um Xiaole Weng von der Zhejiang-Universität (Hangzhou, China) hat unter diesem Blickwinkel flüchtige chlorierte organische Verbindungen (CVOC) unter die Lupe genommen, wichtige kommerzielle Chemikalien, die in Industrie und Landwirtschaft weit verbreitet sind und z.B. in Farben und Lacken, zum chemischen Reinigen sowie Abbeizen verwendet werden. Müllverbrennungsanlagen und -deponien sind weitere Emissionsquellen. Mit zunehmender Industrialisierung werden die CVOC-Emissionen weiter steigen, vor allem in Entwicklungsländern. CVOCs sind als Vorläufer von Dioxin-Verbindungen in industriellen Verbrennungsprozessen bekannt. So können etwa Chlorbenzole, z.B. katalysiert durch Flugasche, in polychlorierte Dibenzo-p-Dioxine und Dibenzofurane (PCDD/Fs) umgewandelt werden. Viele Mitglieder dieser Stoffgruppe sind toxisch und krebserregend, wie spätestens seit dem verheerenden Chemie-Unfall in Seveso 1976 allgemein bekannt. Dennoch gibt es bisher nur wenige Daten über den Verbleib und potenzielle Umwandlungen der CVOCs in der Atmosphäre.
Atmosphärische Partikel enthalten u.a. Eisen- und Aluminiummineralien, die katalytisch aktiv sein können. Das Team stellte die Hypothese auf, dass diese unter Sonneneinstrahlung die Umwandlung von CVOCs in PCDD/Fs katalysieren und somit eine wichtige, übersehene Quelle für Dioxine sein könnten. Um diese Hypothese zu prüfen, führten die Forschenden Laborexperimente an verschiedenen Mineralpartikeln durch und ermittelte mögliche Reaktionswege anhand von Computerberechnungen. Anschließend erfolgte ein Feldversuch mit Umgebungsluft und Fallasche in einem Industriepark, der das Auftreten der photochemischen Umwandlung in der realen Atmosphäre bestätigte.
Die Ergebnisse belegen, dass allgegenwärtige CVOCs, wie Monochlorbenzol, Dichlormethan und Perchlorethylen, die übersehenen Vorläuferschadstoffe für PCDD/Fs sein könnten. Dabei spielen vor allem Eisenoxide (α-Fe2O3) eine Rolle für die Entstehung von Chlorphenolen und Dioxin-Verbindungen. Tests an Mäusen ergaben zudem, dass der Eisenoxid-Staub nach der photochemischen Reaktion schwere Schäden am Lungen- und Hirngewebe verursachte.
Die Studie unterstreicht die Notwendigkeit, die Toxizität atmosphärischer Vorläuferschadstoffe, wie kommerzieller CVOCs, sowie ihrer Umwandlungen neu zu bewerten.
Originalveröffentlichung
Meiling Chen, Yumin Mao, Mengjie Yin, Yunpeng Long, Jingfeng Ding, Zhibin Wang, Kezhou Liu, Lizhi Zhang, Zhongbiao Wu, Xiaole Weng; "Uncovering the Photochemical Conversion of Atmospheric Chlorinated Organics on Mineral Dust: In‐Field Evidence of a New Source of Dioxin"; Angewandte Chemie International Edition, 2025-5-2
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