Weltrekord für Elektronen-Kameras

10.07.2015 - Deutschland

Es ist eine der schnellsten Kameras der Welt: Einer Forschungsgruppe der Universität Kassel sind Aufnahmen von Kristallschwingungen von unter einer billionstel Sekunde Dauer gelungen. Die Physiker arbeiteten dafür nicht mit Licht, sondern mit Elektronen.

Uni Kassel

Schematischer Blick in die Elektronen-Kamera: Der rote Laser regt den Kristall (gold) zum Schwingen an. Der hellblaue Laser erzeugt ein Elektronenpaket (dunkelblau), das durch den Kristall fliegt und auf dem schwarzen Schirm (hinten) ein Beugungsbild erzeugt. Dieses enthält Informationen über die Kristallstruktur: Man erkennt direkt die charakteristische Sechseck-Struktur von Graphit.

Filme in Zeitlupe machen Bewegungen sichtbar, die für das menschliche Auge zu schnell sind. Dafür müssen viele einzelne Bilder aufgenommen werden, von denen jedes nur einen Bruchteil einer Sekunde belichtet wird, zum Beispiel eine tausendstel Sekunde bei Sportaufnahmen. Am Institut für Physik der Universität Kassel wurde nun ein Experiment durchgeführt, das wie eine Kamera mit Belichtungszeiten kleiner als eine billionstel Sekunde funktioniert. Damit untersuchen die Wissenschaftler um Professor Dr. Thomas Baumert und Dr. Arne Senftleben winzige Bewegungen von Kohlenstoff-Atomen in einem Graphitkristall. Wird der Kristall erwärmt, so schwingen die Atome im Material hin und her. Solche Schwingungen oder andere Änderungen der Kristallstruktur kann das neue Experiment filmen, das war bislang nicht möglich.

Die Kamera arbeitet nicht mit Licht, sondern mit Elektronen, die die regelmäßige Struktur des Kristalls abbilden können. Ergebnis sind daher auch keine Fotografien im herkömmlichen Sinne, sondern sogenannte Beugungsbilder, aus denen sich die Anordnung der Atome berechnen lässt. Zum Filmen von Kristallschwingungen benötigt man Pakete von Elektronen, die schneller durch das Graphit fliegen, als die Atome schwingen. Diese brauchen weniger als eine billionstel Sekunde, um einmal hin und her zu schwingen. Elektronenpakete von noch kürzerer Zeitdauer sind äußerst schwierig zu erzeugen, da sie sich durch die gegenseitige Abstoßung der Elektronen ausdehnen wie ein zusammengedrückter Gummiball. Den Kasseler Forschern ist genau dies jedoch gelungen, vor allem dadurch, dass sie die wichtigsten Komponenten des Experiments möglichst dicht zusammen gerückt haben. „So haben die Elektronenpakete schlicht weniger Zeit, um sich auszudehnen“, stellt Professor Baumert fest, Leiter des Fachgebiets Femtosekundenspektroskopie und ultraschnelle Laserkontrolle an der Universität Kassel.

Wie die Arbeitsgruppe jetzt in der Fachzeitschrift New Journal of Physics berichtet, arbeitet die neue Kristallkamera mit Elektronenpaketen, die im besten Fall nur 120 billiardstel Sekunden lang sind. „Laut Aussagen anderer Forscher hält unser Experiment damit den aktuellen Weltrekord für vergleichbare Anlagen“, berichtet Christian Gerbig. Er hat die Arbeiten in Kassel im Rahmen seiner Doktorarbeit maßgeblich vorangetrieben. Zwar gibt es schnellere „Kameras“ die ausschließlich mit Lichtpulsen arbeiten. Diese sind kürzer als Elektronenpulse und haben nicht das Problem der Ausdehnung der Pulse. Nur Elektronen- oder Röntgenstrahlen können jedoch die innere Struktur eines Kristalls sichtbar machen. Röntgenkameras mit vergleichbar kurzen Belichtungszeiten erfordern sehr aufwändige Maschinen.

Zurzeit untersuchen die Wissenschaftler mit der Elektronen-Kamera weitere Materialien. Die Forscher interessieren sich unter anderem dafür, wie sich Schwingungen in aufeinander geklebten Kristallen verschiedener Struktur ausbreiten.

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