Experten wollen hormonell wirksame Chemikalien zurückdrängen

25.11.2003
Berlin (dpa) - Hormonell wirksame Industriechemikalien in der Umwelt machen Menschen nicht unbedingt krank, sollten aber nach Meinung von Experten weiter reduziert werden. «Besonders gefährdet sind Ungeborene und Säuglinge», sagte Ibrahim Chahoud vom Franklin- Klinikum Berlin am Freitag auf einer Fachtagung zu niedrigdosierten hormonaktiven Substanzen. Eine mögliche Schädlichkeit hormonell aktiver Chemikalien sei bislang vor allem in Tierversuchen belegt worden. Ein Rückgang der Spermienzahl bei jungen Männern werde ebenfalls auf die inzwischen überall vorkommenden hormonellen Substanzen zurückgeführt. Doch gebe es auch Studien, sagte Chahoud, die keine Wirkung finden konnten. «Es ist nicht bewiesen, dass chemische Stoffe in der Umwelt in niedrigen Dosen schädlich sind», erläuterte auch Andreas Gies vom Umweltbundesamt Berlin. «Es ist aber auch nicht die Unschädlichkeit bewiesen.» In solchen Fälle habe der umweltbewusste Staat die Pflicht zum vorsorglichen Handeln auch ohne Zusammenhangbeweis. Allerdings müssten hormonell störende Chemikalien im Verhältnis zu anderen Risiken gesehen werden. «Die größten Risiken für ein Embryo sind das Trinken und das Rauchen der Mutter», hob Gies hervor. Er empfahl Frauen zudem, während der Schwangerschaft nicht die Wohnung zu renovieren. Zu den möglichen Folgen hormoneller Störung gehören ein erhöhtes Risiko für Frühgeburten und ein niedriges Geburtsgewicht sowie später im Leben eine Anfälligkeit für Asthma, Allergien, Bluthochdruck und verzögerte geistige Entwicklung. Das berichtete Ellen Silbergeld von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (USA). «Die Bemühungen sollten dahin gehen, auch kleinste Mengen vor und nach der Geburt zu vermeiden», benannte Chahoud die Strategie. Gies betonte: «Es steht eine Neubewertung von Stoffen an, die hormonelle Wirkung haben.» Als Beispiel wurde «Bisphenol A» genannt, das eine ähnliche Wirkung auf den Körper haben soll wie das weibliche Hormon Östrogen. Diese Chemikalie wird in der Kunststoffindustrie zum Beispiel auch in Babyfläschchen verwendet. Die EU-Kommission hat 2001 ein umfangreiches Testprogramm (Cluster Research into Endocrine Disruption in Europe, Credo) verabschiedet, das offiziell im März 2003 gestartet wurde. Ferner wurden EU- einheitliches Prüfungs- und Zulassungsverfahren für alte und neue Chemikalien gestartet. Der Verband der Chemischen Industrie warnte vor Arbeitsplatzverlusten, Umwelt- und Verbraucherschützern gehen die Brüsseler Pläne nicht weit genug.

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