Sektorgrenzen überwinden: Erneuerbarer Kohlenstoff als Treiber der Transformation der europäischen Chemieindustrie

„Renewable Material of the Year 2025”: Drei innovative Start-ups weisen Weg in nachhaltige Chemieindustrie

08.10.2025
nova-Institut GmbH

Innovation Award Verleihung

Die Renewable Materials Conference (RMC) endete optimistisch und mit einer klaren Strategie für die Transformation der europäischen Chemie- und Werkstoffindustrie. Die wichtigste Erkenntnis: Europa kann eine wegweisende Rolle bei der Entwicklung einer von fossilen Rohstoffen unabhängigen und wettbewerbsfähigen Chemieindustrie übernehmen, indem es die verschiedenen Sektoren der Branche verbindet und die richtigen politischen Rahmenbedingungen schafft. Vor dem Hintergrund der europäischen Chemiekrise war die Renewable Materials Conference ein außergewöhnliches Netzwerktreffen der gesamten Branche für erneuerbare Chemikalien und Werkstoffe. 410 Teilnehmende aus 29 Ländern kamen vom 22. bis 24. September in Siegburg zusammen, um sich in 75 Vorträgen, 20 Podiumsdiskussionen und 14 Workshops über Fortschritte und Strategien auszutauschen und zu diskutieren. Ebenso ermöglichten eine Ausstellung, die sich über zwei Etagen erstreckte, drei Abendveranstaltungen, zahlreiche Pausen während des Tages und annähernd 300 Einzelgespräche intensives Netzwerken.

Defossilisiert und gleichzeitig wettbewerbsfähig: Wie kann dies gelingen?

Dieses aktuelle Thema wurde am ersten Tag in einer hochkarätigen internationalen Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertretern aus der EU, Indien und den USA erörtert. Die Diskussion sowie die gesamte Konferenz lieferten positive Antworten, die laut den Teilnehmenden eine optimistische Stimmung und den Wunsch nach Innovation in der europäischen Chemie hervorriefen.

In seiner Eröffnungsrede fasste Dr. Lars Börger, Co-CEO des nova-Instituts, zusammen: „Resilienz ist die Fähigkeit, Störungen standzuhalten, sich anzupassen und gestärkt daraus hervorzugehen. Durch Europas Führungsrolle in den Bereichen erneuerbare Energien, Kreislaufwirtschaft und alternative Kohlenstoffe kann die EU die Chemieindustrie der Zukunft aufbauen und zur strategischen Autonomie Europas in Bezug auf die Rohstoffabhängigkeit beitragen.“ Es gibt keine andere Option: „Europa wird nie wieder wettbewerbsfähig sein, wenn es weiterhin von fossilem Kohlenstoff abhängig bleibt, einfach weil dieser in Europa immer teurer sein wird als in vielen anderen Regionen der Welt“, sagte Michael Carus, Gründer des nova-Instituts. „Anstatt den langsamen Niedergang der fossilen Chemie in Europa zu analysieren und ihn durch Subventionen zu verlangsamen, sollten wir die Chancen einer neuen, zirkulären Chemie nutzen und Vorreiter auf diesem Gebiet werden.“ Beispiele aus Indien und China, die während der Konferenz vorgestellt wurden, zeigten, wie diese Länder dank günstiger wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen erfolgreich auf die Bioökonomie setzen.

Die Relevanz von Synergien zwischen den Sektoren

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Renewable Materials Conference war, dass sie die traditionellen Blasen, in denen die verschiedenen Sektoren für erneuerbare Energien bisher operierten, durchbrochen hat. Die Veranstaltung förderte den Dialog zwischen den Akteuren aller nicht-fossilen Kohlenstoffquellen und positionierte diese als sich ergänzende Säulen für eine fossilfreie Zukunft. Wie eine Teilnehmerin sagte, gilt diese „heilige Dreifaltigkeit der erneuerbaren Kohlenstoffquellen“, d.h. Biomasse aus Land- und Forstwirtschaft, CO₂ und chemisches Recycling, inzwischen als entscheidend für die Defossilisierung von Chemikalien, Kunststoffen und Produkten wie Textilien, Reinigungsmitteln, Körperpflegeprodukten und Kosmetika.

Die Methanolplattform wurde dabei als zukunftsweisender Weg in der Chemie diskutiert, die das Potenzial hat, die Cracker-Chemie teilweise zu ersetzen. Methanol kann aus Biomasse, CO₂ und Kunststoffabfällen gewonnen werden. In Europa sind erhebliche Investitionen geplant, um aus Methanol Propylen und Polypropylen (PP) herzustellen. Um den Kohlenstoff in den entsprechenden Produkten im Kreislauf zu halten, sind vergleichbar hohe Investitionen auch in neue chemische Recyclinganlagen erforderlich. Dies bietet ebenso die Chance, Pionierarbeit bei diesen Technologien zu leisten und die Importe von fossilem Kohlenstoff deutlich zu reduzieren. Auch die Bioökonomie hat bereits ihre Bereitschaft dafür unter Beweis gestellt. Die chemische Industrie wird sich mithilfe einer moderaten Hightech-Landwirtschaft mit ausreichend primärer und sekundärer Biomasse aus Land- und Forstwirtschaft versorgen können, um etwa 20% des fossilen Kohlenstoffbedarfs zu ersetzen. In den letzten Jahren ist der lang erwartete Durchbruch bei der Verwendung von Lignin Realität geworden: Auf der Konferenz haben sechs Unternehmen Anwendungen in den Bereichen Asphalt, Kunststoffe, Baumaterialien und Kosmetika vorgestellt.

Potenziale entfalten durch klare politische Unterstützung

Ein wiederkehrendes Thema der Konferenz war die dringende Notwendigkeit eines klaren und dauerhaften wirtschaftspolitischen Rahmens, um die Transformation der Branche zu ermöglichen. Dies ist besonders wichtig, da der Großteil der Investitionen in neue Technologien derzeit in Asien getätigt wird, wo unterstützende politische Rahmenbedingungen bestehen. Vertreter der Europäischen Kommission, der niederländischen Regierung, der Industrie und der Wissenschaft waren sich einig: Nur ein vorhersehbarer Rahmen kann die für groß angelegte Investitionen erforderliche Sicherheit bieten.

Aurel Ciobanu-Dordea, ein Direktor der Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission, signalisierte eine positive Veränderung auf EU-Ebene und machte deutlich, dass die stoffliche Nutzung von Biomasse in der kommenden Bioökonomie-Strategie zukünftig gefördert werden soll. Er wies darauf hin, dass die Strategie konkretere Unterstützung bieten werde, was eine positive Veränderung seitens der Generaldirektion Umwelt hin zur Zusammenarbeit mit der Industrie bedeute. In der Diskussion wurde deutlich, dass zwar der Handlungsbedarf klar ist, spezifische Instrumente wie Vorschriften für den Anteil erneuerbarer Rohstoffe jedoch sorgfältig konzipiert werden müssen, um Ambitionen und Marktrealitäten in Einklang zu bringen und aus früheren Erfahrungen zu lernen.

Innovationspreis „Renewable Material of the Year 2025”

Ein wiederkehrender Höhepunkt der jährlichen Konferenz ist die Wahl und Bekanntgabe der drei Gewinner des Innovationspreises. Im Vorfeld der Konferenz wählte der Beirat aus 19 Einreichungen sechs vielversprechende Innovationen aus. Während der Konferenz stellten alle Nominierten ihre Innovation vor, bevor das Publikum die Gewinner wählte:

1. Platz: Cyclize GmbH (DE): Gemischte Abfälle und CO2 als Ausgangsmaterial für die Erzeugung von Synthesegas

Cyclize ermöglicht eine Kreislaufwirtschaft für Kohlenstoff, indem gemischte Abfälle und CO2 als Rohstoffe für die Herstellung von Synthesegas verwendet werden. Synthesegas ist ein wichtiger Baustein in der chemischen Industrie und wird derzeit hauptsächlich aus fossilen Quellen hergestellt. Der patentierte Plasmareformer benötigt nur ein Drittel der elektrischen Energie der Elektrolyse. Dieser Vorteil macht die Produktion von Synthesegas konkurrenzfähig zu fossilem Synthesegas. Das von Cyclize produzierte Synthesegas kann Erdgas ersetzen und so die chemische Industrie ohne Öko-Aufpreis dekarbonisieren.

2. Platz: Bloom Biorenewables (CH): Das erste weiße Lignin überhaupt

Lignin wird aufgrund seiner hervorragenden UV-Schutz-, antioxidativen und antimikrobiellen Eigenschaften seit Jahrzehnten in Kosmetika getestet. Seine Verwendung wurde jedoch durch seine dunkle Farbe und seinen Geruch eingeschränkt. Mit dem selektiven Extraktionsverfahren von Bloom kann Lignin nun ohne Qualitätsverlust extrahiert und in seiner natürlichen Form erhalten werden. Dank einer bahnbrechenden Technologie ist Bloom in der Lage, dieses hochreine Lignin aufzuhellen, ohne die Struktur des Lignins zu beeinträchtigen. Das weiße Lignin von Bloom könnte der Schlüssel zur Nutzung von Lignin als multifunktionaler Inhaltsstoff für nachhaltige Kosmetika sein. Dieser Kosmetikwirkstoff wird 2026 auf den Markt kommen.

3. Platz: Sustanix Materialtech BV (NL): PFAS und Kunststoffe in Papierverpackungen ersetzen

Sustanix steht für proprietäre Polymere und Formulierungen für 100% pflanzliche Beschichtungen und Additive mit hervorragenden hydrophoben und oleophoben Eigenschaften, die sich in der Industrie nachweislich recyceln lassen. Die neue Beschichtungstechnologie ermöglicht es Konsumgütermarken und Verpackungsunternehmen, Vorschriften zu Mikroplastik, PFAS und Verpackungsabfällen einzuhalten. Sie bietet eine nachhaltige Alternative, die mit bestehenden Maschinen kompatibel und auf über 100 Tonnen pro Monat skalierbar ist. Der Ersatz von PFAS, Polyacrylaten, Mikroplastik und Styrol-Latex in Papierverpackungen gewährleistet einen sichereren Lebensmittelkontakt und eine kreislauffähige Wertschöpfungskette.

Fokus auf einzelne Konferenzthemen

Auf der Renewable Materials Conference wurden verschiedene Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -nutzung (CCU) sowie zur Abfallverwertung vorgestellt. Die rasante Entwicklung in diesem Bereich führte zur Gründung inspirierender Unternehmen wie Blue Circle Olefins (NL), Vioneo (CH), Econic (UK) und NG Nordic (FI), die eine Vielzahl von Ansätzen und Produkten präsentierten. Die Verleihung des ersten Platzes des Innovationspreises an das Start-up Cyclize (DE) durch die Teilnehmenden der Veranstaltung ist ein klares Zeichen dafür, in welche Richtung sich die Branche entwickelt.

Auch in der Bioökonomie gab es spannende Fortschritte. Mehrere Vorträge zum Thema Lignin zeigten den lang erwarteten technologischen und wirtschaftlichen Durchbruch bei dessen Nutzung: Zu diesen Unternehmen gehörten Bloom Biorenewables (CH), Borregaard (NO), Fibenol (EE), Lignin Industries (SE), Lixea (SE), Södra (SE) und UPM (FI). Auch Verbio (DE) stellte einen Durchbruch vor: Das Unternehmen wird an seinem Standort in Bitterfeld die weltweit erste großtechnische Ethenolyseanlage auf Basis von Rapsmethylester (Biodiesel) betreiben. Diese Anlage wird jährlich bis zu 60.000 Tonnen biobasierte Chemikalien für den Einsatz in Waschmitteln, Schmierstoffen und Polymeren produzieren und damit den Übergang der chemischen Industrie hin zur Nutzung nachwachsender Rohstoffe weiter vorantreiben.

Drei Unternehmen, Godavari Biorefineries aus Indien, Zhongke Guosheng (Hangzhou) Technology Co., Ltd und Leaf Biotech aus China, demonstrierten die bedeutende Entwicklung der Bioökonomie in Asien, die durch politisches Engagement und unterstützende Rahmenbedingungen vorangetrieben wird. Godavari nutzt Zuckerrohr zur großtechnischen Herstellung von Bioethanol als Kraftstoff und einer Vielzahl wertvoller Chemikalien. Zhongke Guosheng Technology ist auf Furanchemie spezialisiert und produziert HMF und PEF.

Eine ganze Session zum Thema biologischer Abbau

Eine ganztägige Session mit weltweit führenden Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Industrie sowie ein zusätzlicher Workshop, beide moderiert von BASF (DE) und Hydra (DE), befassten sich mit den Themen biologische Abbaubarkeit, Kompostierbarkeit und Mikroplastik – einem Bereich, in dem wichtige Akteure aus Wissenschaft und Industrie eng zusammenarbeiten, um politische Entscheidungsträger zu unterstützen.

Die Session präsentierte eine Vielzahl sinnvoller Anwendungen, bei denen die Freisetzung von persistentem Makro-/Mikroplastik durch den Einsatz biologisch abbaubarer Alternativen vermieden werden kann. Die Diskussionen hoben darüber hinaus die neuesten politischen und regulatorischen Entwicklungen hervor, darunter die neue Europäische Verpackungsverordnung, die Düngemittelverordnung und die REACH-Verordnung zur Beschränkung von Mikroplastik. Diese neuen politischen Regelwerke sind zukunftsweisend: Die Verschmutzung durch Kunststoffe wird nun umfassender angegangen und erstreckt sich auch auf Mikroplastik und Polymere in flüssigen Formulierungen (polymers in liquid formulations, PLFs). Am Ende des Konferenztages stand insbesondere die Beständigkeit von PLFs im Fokus, die in Produkten wie Kosmetika und Reinigungsmitteln verwendet und in die Umwelt freigesetzt werden.

Interaktive Workshops sorgten für Energie und Engagement

Der Schwerpunkt der Konferenz lag auf Austausch und Lernen in zwei parallelen Vortragssträngen über drei Tage, ergänzt durch 14 unterschiedliche Workshops. Die Workshops schufen einen dynamischen Raum für offene Diskussionen und Debatten, in dem nicht nur die Referentinnen und Referenten, sondern alle Teilnehmenden zu Wort kamen.

So diskutierten beispielsweise die mehr als 20 Teilnehmenden des von Kim Schoppink moderierten Workshops der Science-Based Targets Initiative (SBTi) lebhaft über den aktualisierten Net-Zero-Standard und hoben kritische Fragestellungen hervor, mit denen erneuerbare Kohlenstoffe bei der Berichterstattung über SBTi konfrontiert sind. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass SBTi diese Fragen angehen muss. Gleichzeitig signalisierte SBTi deutlich die Notwendigkeit, zuzuhören, zu diskutieren und möglicherweise Anpassungen vorzunehmen.

40 Teilnehmende besuchten den Workshop zum Thema Politik, der von der Renewable Carbon Initiative (Christopher vom Berg), dem niederländischen Ministerium für Infrastruktur und Wasserwirtschaft (Richard Kempen) und Südzucker (Sebastian Kunz) veranstaltet wurde. In anregenden Diskussionen wurden Argumente gesammelt, was die Politik tun muss und welche Instrumente eine Option sein könnten, um den Übergang zu erneuerbarem Kohlenstoff zu erleichtern.

Expertinnen und Experten des nova-Instituts diskutierten mit den Teilnehmenden ihres Nachhaltigkeits-Workshops sehr intensiv über Praktiken der Massenbilanzierung und Zuordnung in der Ökobilanzierung (life cycle assessement, LCA) sowie über den Umgang mit dem Vergleich von neuen und konventionellen Technologien innerhalb von Ökobilanzen.

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