Was macht Knochen und Zähne so hart?
Max-Planck Forscher finden den Schlüssel zur Lösung in der Nanostruktur der Biomaterialien
Bis heute ist es ein großes Geheimnis, wie die Natur harte und sehr feste Materialien, wie Knochen, Zähne oder Holz, aus einer Mischung aus Proteinen, weich wie menschliche Haut, und Mineralien, spröde wie Schulkreide, erzeugen kann. Zwar ist inzwischen allgemein bekannt, dass dabei der Komposit-Charakter von biologischen Materialien eine wichtige Rolle spielt, doch über die Längenskala der darin enthaltenen Mineralteilchen wusste man bisher nur wenig.
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Metallforschung und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften haben jetzt nachgewiesen, dass harte biologische Materialien eine optimale Festigkeit und hohe Toleranz gegenüber Materialfehlern erreichen, wenn die darin enthaltenen Mineralpartikel nur noch wenige Nanometer groß sind.
Die Forscher stellten fest, dass in diesen Stoffen bei etwa 30 Nanometern eine kritische Schwelle existiert, unterhalb derer Partikel in biologischen Komposit-Materialien unempfindlich gegenüber Materialfehlern werden. Sie erreichen dann die Festigkeit eines perfekten Kristalls, trotz Materialfehler. Dieses Phänomen deutet darauf hin, dass das heute weitgehend verwendete Konzept, Spannungskonzentrationen in Materialien zu vermeiden, auf der Nano-Skala nicht mehr gültig ist und eröffnet der Anwendung ganz neue Perspektiven (PNAS Online 5. Mai 2003).
Dank neuer Kenntnisse aus der Metallurgie wissen wir heute, dass Härte und Zähigkeit von Metallen zum großen Teil auf ihre kristalline Struktur zurückzuführen ist. Durch Versetzungen, eine wichtige Klasse von Materialdefekten, werden in zähen Materialien Spannungsüberhöhungen an rissähnlichen Defekten abgebaut. Das aber geht auf Kosten ihrer Härte.
Dieser Zielkonflikt, feste, aber trotzdem fehlerfreundliche Materialien zu erzeugen, ist deshalb ein "Dauerbrenner" in der modernen Forschung. Eine der wichtigsten Herausforderungen besteht deshalb darin, Materialien zu entwickeln, die hart und zugleich fest sind und dennoch keine Versetzungen enthalten. Dies würde ein neues Gebiet in den Materialwissenschaften und zugleich ganz neue Anwendungen eröffnen, wie Hochtemperatur-Maschinen (Motoren, Turbinen), Leichtbau-Strukturen oder ermüdungs- oder korrosionsresistente Materialien.
Biomaterialien wie zum Beispiel Knochen sind molekulare Komposite aus Proteinen und Biomineralien. Während die Steifheit dieser Bio-Komposite denen des Minerals ähnelt, kann ihre "Fehlerfreundlichkeit" (Rissenergie) um einige Größenordungen höher sein als die des eigentlichen Minerals. So zeigt die Komposit-Schale von Perlmutt beispielsweise eine 3.000 Mal höhere Bruchenergie als die des eingebetteten Minerals Kalziumkarbonat (CaCO3). Trotz ihrer komplizierten hierarchischen Struktur beobachtet man bei Bio-Kompositen, dass ihre kleinsten Bauteile im allgemeinen nur einige Nanometer lang sind und als Mineralblättchen, symmetrisch ausgerichtet in einer ganz bestimmten Struktur, in eine Protein-Matrix eingebettet sind.
Doch warum spielt die Nanometer-Skala eine so große Rolle bei Biomaterialien? Die Forscher vom Max-Planck-Institut für Metallforschung und von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften an der Universität Leoben haben jetzt herausgefunden, dass die spezielle Nanostruktur von Biomaterialien vermutlich der Schlüssel zu ihrer hohen Bruchenergie ist. Ihre Analyse deutet darauf hin, dass die Mineralkristalle in diesen Kompositen die Zugbelastung tragen, während die Proteinmatrix die Belastungen zwischen den Mineralblättchen über Abscherung überträgt.
Die winzigen Mineralkristalle haben sehr hohe Streckungsgrade, die die große Differenz in der Steifheit zwischen Mineralien und Proteinen ausgleichen. Um die Integrität und Festigkeit der Komposit-Struktur zu sichern, muss der Mineralkristall große Zugdehnungen aushalten können, ohne zu brechen. Die Zugfestigkeit der Mineralkristalle ist daher der Schlüssel zur Festigkeit der Komposite als Ganzes.
Mit einer Reihe von mathematischen Gleichungen können die beteiligten Forscher zeigen, dass Mineralkristalle, die einen Riss enthalten, bei einer kritischen Größe von ungefähr 30 Nanometer die Rissfestigkeit eines perfekten, defektfreien Kristalls aufweisen. Außerdem haben sie eine numerische Methode entwickelt, um zu demonstrieren, dass das Spannungsfeld in der Nähe eines wachsenden Risses immer homogener wird, je kleiner die Ausdehnung der Struktur ist, und bei einer kritischen Länge von wenigen Nanometern seine höchste Festigkeit erreicht. Unterhalb dieser kritischen Größe sind Partikel unempfindlich gegenüber rissähnlichen Materialdefekten. Diese Ergebnisse erklären, warum Knochen, die aus Partikeln von nur einigen Nanometern Größe bestehen, wesentlich fester sind als Muschelschalen, deren Teilchen einige hundert Nanometer groß sind. Die Wissenschaftler gehen deshalb davon aus, dass das Ingenieurskonzept, wonach Spannungsüberhöhungen durch Materialfehler entstehen, bei der Konstruktion auf der Nanometerskala nicht mehr gilt, da Nano-Komposit-Materialien unempfindlich gegenüber Materialfehlern werden.