Chemiemanager kritisieren Standortbedingungen in Deutschland

Erster CHEMonitor zeigt die deutsche Chemieindustrie auf Wachstumskurs in der Welt, aber mit Strukturproblemen in der Heimat

01.02.2007

Die deutsche chemische Industrie ist in Europa die Nummer eins und belegt in der weltweiten Rangliste Platz vier hinter den USA, Japan und China. Gut ein Viertel des Chemie-Umsatzes in Europa (153 Mrd. Euro) und fast jeder dritte Arbeitsplatz (441.000 Mitarbeiter) in der Branche entfallen auf deutsche Unternehmen. Damit bilden sie insgesamt einen der wichtigsten Wirtschaftszweige in Deutschland. Im Bereich der Investitionen nimmt die chemische Industrie mit zuletzt 5,3 Mrd. Euro sogar die zweite Position hinter der Automobilindustrie ein. Ein besonderer Schwerpunkt sind Aufwendungen in Forschung und Entwicklung, die mit 18 Prozent fast ein Fünftel der gesamten Kosten in diesem Bereich ausmachen.

Vor diesem Hintergrund haben die Fachzeitschrift CHEManager und die Beratergruppe Droege & Comp. unter der Bezeichnung CHEMonitor ein Entscheider-Panel für die Chemiebranche aufgebaut, das vierteljährlich neu erstellt wird. Es bietet Platz für Einschätzungen und Meinungen von Top-Managern und hat sich zum Ziel gesetzt, Trends und potenzielle Handlungsfelder aufzuzeigen. Neben wiederkehrenden Fragen zur allgemeinen wirtschaftlichen Lage und zur spezifischen Unternehmensentwicklung werden in jeder Befragung aktuelle Themen aufgegriffen. Systematisch bewertet der Monitor zudem die Standortbedingungen im Land und schätzt die zukünftige Investitions- und Beschäftigungsentwicklung ab. Das Panel stützt sich auf über 260 Führungskräfte, die einen repräsentativen Querschnitt der deutschen Chemieindustrie darstellen sollen. Dabei leitet es seine Relevanz von der Tatsache ab, dass 30 Prozent der Befragten Vorstands- und Geschäftsführungsmitglieder sind, 17 Prozent stehen sogar der Unternehmungsleitung vor.

Auch wenn sich die Wirtschaftsdaten 2006 gemäß CHEMonitor 1/2007 überraschend positiv entwickelt haben, beklagt die chemische Industrie weiterhin hohe Arbeitskosten und bürokratische Überregulierung. Deshalb sehen die Branchenmanager die Standortbedingungen weniger positiv als ihre Kollegen aus anderen Wirtschaftszweigen - während 78 Prozent aller Top-Manager die Bedingungen für "gut" oder zumindest für "eher gut" halten, sind es in der Chemieindustrie nur 66 Prozent. Auch im Ausblick bleiben die Chemie-Vertreter deutlich zurückhaltend: 30 Prozent der Befragten prognostizieren schlechtere Standortbedingungen, gerade mal vier Prozent gehen von einer Verbesserung aus. Ein Grund für die negative Stimmung ist sicher die bevorstehende Inkraftsetzung der europäischen Chemikalienrichtlinie REACH, die ihr Drohpotenzial längst noch nicht verloren hat. Sie könnte dazu führen, dass die Unternehmen rund 30.000 Substanzen auf ihr Risikopotenzial prüfen müssen. Experten schätzen sogar, dass die EU-Behörde spezielle Zulassungsverfahren für 1.500 Stoffe anordnet.

Trotz Standortkritik verfolgt deutsche Chemieindustrie global einen klaren Wachstumskurs. Jedes zweite Unternehmen setzt auf organisches Wachstum aus eigener Kraft, wobei die wichtigsten Faktoren dafür die Erschließung neuer Kundengruppen und die Erweiterung des Produktportfolios sind. Weiterhin spielen die verstärkte regionale Präsenz sowie das Angebot von neuen Mehrwert-Dienstleistungen eine wichtige Rolle. Ein weiteres Drittel will die eigene Position zwar ebenfalls organisch verbessern, zieht aber auch gezielte Akquisitionen in Betracht. Wichtigstes Thema neben dem Wachstum ist die Verbesserung der Kostenstrukturen - für 55 Prozent der Unternehmen gleichrangiges Ziel zum Wachstum.

Trotz der Standortnachteile soll sich die Investitionstätigkeit in 2007 positiv entwickeln: Etwas über die Hälfte der Chemieunternehmen wollen ihre Ausgaben in diesem Bereich konstant halten, 39 Prozent sogar erhöhen. Der Hauptteil (29 Prozent) verbleibt in Deutschland, 15 Prozent gehen nach China, je 11 Prozent kommen in West- bzw. Osteuropa zum Einsatz. Dabei verliert Deutschland zunehmend zugunsten asiatischer Standorte an Attraktivität. Trotz Wachstum und Investitionen entstehen kaum zusätzliche Arbeitsplätze. 43 Prozent der Unternehmen gehen von einer konstanten Zahl der Beschäftigten aus, 26 Prozent wollen sie erhöhen, 26 Prozent dagegen verringern. Eindeutig positiv ist der unveränderte Wille zu Forschung und Entwicklung. 44 Prozent, fast die Hälfte aller Unternehmen, wollen die entsprechenden Ausgaben erhöhen, 15 Prozent sogar mit mehr als 15 Prozent. Allerdings bleibt der derzeitige Schwerpunkt Deutschland nicht unverändert - in Zukunft erhöhen sich die Forschungsaufwendungen schrittweise im Ausland. Der Trend, sich lokales Know-how, Kostenstrukturen und Marktnähe zu sichern, treibt Unternehmen dazu, Laborkapazitäten vor allem in Asien aufzubauen.

Finanziell steht 2007 für die Chemieindustrie unter guten Vorzeichen. Fast 60 Prozent der Unternehmenslenker erwarten eine Umsatzsteigerung von über fünf Prozent, 23 Prozent sogar von über zehn Prozent. Auch bei der Schätzung des Nettoergebnisses herrscht Optimismus. Mehr als 14 Prozent rechnen mit Zusatzraten von über zehn Prozent und immerhin 46 Prozent der Befragten gehen von Zusätzen von mehr als fünf Prozent aus. Alles in Allem gute Aussichten für die Branche - aber schlechte für den Standort Deutschland.

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