Europäische Supply Chains: Regionale Aufstellung gefragt

„Excellence in Logistics 2008“: Benchmarking-Studie der European Logistics Association (ELA) und A.T. Kearney identifiziert Erfolgsfaktoren für Supply Chains in der Krise

13.05.2009 - Deutschland

Nach vielen Jahren stetig sinkender Logistikkosten hat sich die Trendumkehr bestätigt: Europaweit sind die Logistikkosten seit 2003 um knapp 20 Prozent angestiegen und werden bis 2013 voraussichtlich weiter zulegen. Um den aktuellen Herausforderungen der globalen Wirtschaftskrise zu begegnen, müssen sich Supply Chains verändern. Dabei sind eine optimierte, regionale Aufstellung der Supply-Chain-Netzwerkstrukturen, eine höhere Flexibilität sowie ein straffes Risikomanagement und eine systematische Steuerung des Nettoumlaufvermögens die zentralen Erfolgsfaktoren. Das geht aus der aktuellen Studie „Excellence in Logistics“ hervor, die seit 1982 im Fünf-Jahres-Rhythmus vom Branchenverband European logistics Association und der Managementberatung A.T. Kearney durchgeführt wird. Die Studie verbindet die Entwicklung der klassischen Kosten- und Leistungsbenchmarks im Supply-Chain-Management, die über den Zeitraum 1982 bis 2008 erfasst und bewertet wurden, mit dem Schwerpunktthema „Supply-Chain-Excellence in der globalen Wirtschaftskrise“. Daran beteiligt haben sich Firmen aus insgesamt 18 europäischen Ländern und acht Branchen.

„Auf der einen Seite gilt es, Supply-Chain-Kosten und Bestände inklusive des gebundenen Kapitals so niedrig wie möglich zu halten. Auf der anderen Seite steigen jedoch die Anforderungen der Kunden hinsichtlich Lieferzeiten, Lieferfähigkeit und Lieferzuverlässigkeit. Diesen Zielkonflikt strategisch richtig aufzulösen, ist in Zeiten der Wirtschaftskrise wichtiger denn je, will man seine Wettbewerbsposition verbessern und gestärkt aus der Krise hervorgehen“, sagt Dr. Stephan Mayer, Partner bei A.T. Kearney und Leiter des Projektteams.

Steigende Kosten und hohe Bestände

Zwischen 2003 und 2008 sind die Logistikkosten - eine der wichtigsten Kennzahlen für Supply-Chain-Performance - bei unverändertem Branchenmix um knapp 20 Prozent von 6,1 auf 7,3 Prozent des Nettoumsatzes angewachsen. Der Anstieg verteilt sich gleichmäßig auf die drei Kostenkomponenten Transport-, Lagerbetriebs- und Bestandskosten.

Die Transportkosten sind zwischen 2003 und 2008 um 35 Prozent angestiegen. Zurückzuführen ist diese Entwicklung auf die weiter fortschreitende Globalisierung, die größere Transportentfernungen nach sich zieht, sowie auf steigende Mautgebühren und Treibstoffkosten. „Aufgrund schrumpfender Frachtvolumina als Folge der Wirtschaftskrise sind die Kosten aktuell zwar rückläufig, mittelfristig rechnen wir jedoch damit, dass sich die Transportkosten proportional zur Wirtschaftsentwicklung verhalten und etwa aufgrund der weiter zunehmenden Globalisierung und einer steigenden Bedeutung der Nachhaltigkeit steigen werden“, prognostiziert Cay Bernhard Frank, Principal bei A.T. Kearney.

Bezogen auf den Nettoumsatz sind die Lagerbetriebskosten um etwa 0,3 Prozentpunkte angestiegen, die Bestandskosten um 0,4 Prozentpunkte. Bis 2013 erwarten die Experten allerdings eine deutliche Reduzierung bei den Bestandskosten. „Gebundenes Kapital in der Supply Chain ist in Form von Beständen auf den verschiedenen Wertschöpfungsstufen des Unternehmens zu finden. Besonders in der Wirtschaftkrise sind sie von Bedeutung, da sie in erheblichem Umfang dringend benötigtes ‚Cash‘ absorbieren können. Kurz- und mittelfristig werden Unternehmen mehr denn je aufgefordert sein, durch eine Optimierung der Bestände alle Möglichkeiten zur Verbesserung der Liquidität und der Kapitalstruktur konsequent zu nutzen“, sagt Erik Thiry, Principal bei A.T. Kearney.

Für 2013 erwarten die Experten folglich einen leichten Rückgang gleicher Größenordnung in allen drei Bestandskategorien Rohstoffe, Zwischenprodukte und Fertigwaren.

„Insgesamt sind die Bestände in den verschiedenen Bestandskategorien derzeit auf einem relativ hohen Niveau, auch wenn es branchenspezifische Unterschiede gibt. Hier besteht Handlungsbedarf. Eine Verringerung der Bestands- und Lagerkosten kann allerdings nur über eine ganzheitliche Optimierung und Harmonisierung der Supply Chain erreicht werden“, erläutert Thiry.

Globalisierung geht weiter

Des Weiteren hat die Untersuchung gezeigt, dass dem Thema Globalisierung auch in Zukunft eine ganz zentrale Rolle im Supply-Chain-Management zukommen wird. In den vergangenen Jahrzehnten war die Globalisierung einer der größten Wohlstandstreiber überhaupt: Bei gleichzeitig wachsender Bevölkerung stieg der Weltexport pro Einwohner von 450 Dollar 1980 auf über 2.000 Dollar 2007. Exportorientierte Länder wie Deutschland haben davon besonders profitiert.

Die Auswirkungen der Globalisierung werden auch bei den überregionalen Zuliefer- und Kundenverflechtungen der europäischen Unternehmen deutlich: Der als Maß für die Globalisierung der Supply Chain zugrunde gelegte Warenverkehr hat von 2003 bis 2008 deutlich zugenommen und zwar pro Jahr um rund 10 Prozent auf der Einkaufsseite und um rund 11 Prozent auf der Marktseite. Die zunehmend globale Aufstellung der Supply Chains spiegelt sich auch im Umfang des Sales & Operations Planning wider: Bei einem Viertel der Befragten erfolgt es auf globaler Basis.

„Die Wirtschaftskrise inklusive der Konjunkturprogramme und Subventionsmodalitäten einzelner Regierungen in Europa hat unlängst eine Umkehr des Globalisierungstrends nahegelegt. Dies wurde durch die aktuelle Studie jedoch nicht bestätigt. Als Folge der Wirtschaftskrise zeichnet sich zwar eine temporäre Verlangsamung der Globalisierungsdynamik ab, von einer Deglobalisierung sind wir jedoch weit entfernt“, sagt Frank.

Laut Einschätzung der befragten Unternehmen sind die wichtigsten Globalisierungstreiber die Faktoren, die im direkten Zusammenhang mit Einkauf und Beschaffung stehen, gefolgt von Treibern auf der Marktseite. Bei den kostenorientierten Treibern kommt den Personalkosten die größte Bedeutung zu, vor Energie- und Transportkosten. Die Beteiligten der Studie gehen geschlossen davon aus, dass die Bedeutung aller Globalisierungstreiber bis 2013 weiter zunehmen wird.

„Die Stärkung der globalen Wettbewerbsfähigkeit hat für Unternehmen aller Branchen nach wie vor höchste Priorität. Ein exzellentes Supply-Chain-Management kann dazu erheblichen Beitrag leisten, und zwar durch eine optimierte, regionale Aufstellung der Supply-Chain-Netzwerkstrukturen, eine höhere Flexibilität sowie ein straffes Risikomanagement und eine systematische Steuerung des Nettoumlaufvermögens“, fasst Mayer zusammen.

Konsolidierung, Regionalisierung, Flexibilisierung

Wichtige Wettbewerbsvorteile lassen sich über eine Konsolidierung und Regionalisierung der Supply Chain erzielen. Die Experten erwarten, dass die Anzahl der Produktions- und Lagerstandorte in den nächsten Jahren deutlich zurückgehen und sich der gesamte Supply-Chain-„Footprint“ konsolidieren wird. „Im Zuge der Wirtschaftskrise wird sich diese Entwicklung deutlich beschleunigen“, sagt Thiry. Dabei rechnen die Experten mit einer Straffung des Produktionsnetzwerks um rund 20 Prozent bis 2013.

Zusätzlich wird auch erwartet, dass sich die Struktur der Produktionsnetzwerke hin zu einer stärker regionalen Aufstellung verschiebt: In Zukunft werden die meisten Produktionsstandorte regionale Märkte bedienen, die absolute Anzahl sowie der Anteil der Standorte, die nur lokal oder global liefern, wird auf Kosten dieser regionalen Kernwerke zurückgehen. Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch bei Eingangs- bzw. Distributionslogistik ab. Bei den Eingangslägern wird eine Reduktion von rund einem Drittel bis 2013 erwartet, bei den Distributionslägern um etwa 20 Prozent.

Rückenwind erhält die zunehmende Regionalisierung von Supply Chains zudem durch das Thema Nachhaltigkeit. Den Experten zufolge wird es bis 2013 erheblich an Bedeutung gewinnen und auch den Einsatz möglichst CO2-effizienter Transportmittel fördern. Dieses für die Supply Chain relativ neue Thema ist mittlerweile bei 60 Prozent der befragten Unternehmen auf der Agenda, allerdings besteht hier aus Expertensicht noch ein beträchtlicher Handlungsbedarf, um das Thema auch in der Unternehmenspraxis mit Leben zu erfüllen. Dies gilt insbesondere für das Thema „CO2-Footprint“, bei dem die Logistik neben der Produktion typischerweise einer der wesentlichen Verursacher innerhalb eines Unternehmens ist.

Verschiebung von Push zu Pull

„Unerschlossenes Potenzial liegt zudem in einer weiteren Flexibilisierung der Supply Chain. In einer angespannten wirtschaftlichen Lage wie dieser ist es immanent wichtig, dass Unternehmen die Reaktionsfähigkeit ihrer Supply Chain erhöhen, um so schnell auf die schwankende Marktnachfrage reagieren zu können. ‚Push statt Pull‘, lautet das Gebot der Stunde, das heißt kundenspezifisch statt für das Lager zu produzieren“, erläutert Mayer.

Die Untersuchung hat allerdings gezeigt, dass die Mehrzahl der Befragten noch über keine konsequente „Pull-Supply-Chain“ verfügt. Als Folge der zurückliegenden Boom-Jahre konnte man 2008 im Vergleich zu 2003 sogar einen leichten Anstieg der „Push“-Produktion hin zu mehr „Make-to-Stock“ beobachten.

Dabei zeigen sich bei den untersuchten Branchen allerdings große Unterschiede. Obwohl die Automobilindustrie als Vorreiter bei der Implementierung von neuen Produktionsphilosophien betrachtet werden kann, stehen derzeit etwa 20 Millionen „Push-Fahrzeuge“ auf Halde. In der Fast-Moving-Consumer-Goods-Industrie und im Handel dominieren fast ausschließlich die Fertigung auf und der Abverkauf vom Lager.

„Gerade in Krisenzeiten kommt einem zielorientierten, flexiblen Management der Versorgungskette eine besonders große Bedeutung zu. Infolgedessen erwarten wir mittelfristig eine deutliche Zunahme des Trends hin zu ‚Pull-Supply-Chains‘, die dabei helfen, Bestände an Produkten zu vermeiden, die in der Krise nicht mehr nachgefragt werden. Bei der Umstellung der Supply Chain auf „Pull“ sollten die Unternehmen allerdings nicht pauschal vorgehen, sondern einer Segmentierungslogik folgen. Insbesondere eine Segmentierung anhand des Bedarfsverhaltens und der Kundenstruktur ist hier ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg“, sagt Mayer.

Liquidität maximieren, Risiken minimieren

„In Zeiten der Wirtschaftskrise ist das aktive Management des Nettoumlaufvermögens, d.h. von Beständen, Forderungen und Verbindlichkeiten, eine der Kernaufgaben des Supply-Chain-Management. Unternehmen sollten jetzt alle Möglichkeiten ausschöpfen, kurzfristig Kapital freizusetzen, um ihre Kapitalposition zu verbessern. Die Steuerung des Nettoumlaufvermögens ist hierzu ein oftmals vernachlässigtes Instrument“, sagt Erik Thiry. Durch eine Verringerung der Bestandsreichweiten können deutsche Fabriken in Summe rund 40 Milliarden Euro an gebundenem Kapital freisetzen.

Für Supply-Chain-Verantwortliche kommt es jetzt darauf an, dass sie ihre Bestände senken, etwa durch einen systematischen Umbau der Supply Chain hin zu einer „Pull-Supply-Chain“. Zudem sollten sie ihr Forderungsmanagement auf Optimierungschancen untersuchen und etwa durch eine schnelle und fehlerfreie Lieferung sowie Rechnungsstellung den „Cash-to-Cash-Cycle“ verkürzen.

Ebenso wichtig in der Krise ist ein funktionierendes Supply-Chain Risikomanagement, mit dem Zahlungs- und Kreditrisiken gesteuert werden. Auch hier besteht Verbesserungspotenzial: Aktuell verfügt nur ein Drittel der befragten Unternehmen über ein-Supply Chain-Risikomanagement. „Wichtig ist, Transparenz über die Leistungsfähigkeit der Supply-Chain-Prozesse zu schaffen und diese stetig weiter zu verbessern“, sagt Frank.

Excellence in Logistics

Die Studie „Excellence in Logistics“ wird seit 1982 im Fünf-Jahres-Rhythmus von der European Logistics Association (ELA) und der Managementberatung A.T. Kearney durchgeführt. Sie liefert nach eigenen Angaben aussagekräftige Benchmarks zu Kosten, Geschwindigkeit, Servicegrad und Risiken im europäischen Länder- und Branchenvergleich. Zudem zeigt sie wesentliche Entwicklungstrends auf. An der aktuellen Studie haben sich 150 Unternehmen aus 18 europäischen Ländern und acht Branchen beteiligt, darunter Konsumgüter- , Automobil- und chemische Industrie sowie Maschinenbau/Elektronik und Telekommunikation.

Die Studie baut auf den Ergebnissen der vorangegangenen Studien auf, bei denen die Themen „Kosten“ (1982), „Produktivität“ (1987), „Qualität“ (1992) „Supply-Chain-Dynamik“ (1998) und „Differenzierung und Kollaboration“ (2003) im Mittelpunkt standen.

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