Pharma- und Chemiebranche im Übernahmefieber
Rekordübernahmen im ersten Halbjahr 2015
Wesentliche Ursache für den starken Anstieg sind einige Deals der Pharmabranche im zweistelligen Milliardenbereich. Sie sorgten dafür, dass sich der Gesamtwert der im Pharmabereich abgeschlossenen M&A-Deals im ersten Halbjahr gegenüber dem ersten Halbjahr 2014 fast verdreifachte, von 69 Milliarden US-Dollar auf 210 Milliarden US-Dollar.
Wie schon 2014, waren auch in den ersten sechs Monaten 2015 wieder besonders US-Unternehmen aktiv, gefolgt von chinesischen und französischen Firmen. So kaufte im ersten Quartal der Pharmakonzern Actavis den Botox-Hersteller Allergan für rund 70,5 Milliarden US-Dollar, während AbbVie im zweiten Quartal Pharmacyclics für 20,8 Milliarden US-Dollar übernahm. Vir Lakshman, Leiter des Bereichs Chemie und Pharma bei KPMG Deutschland: „Im Zuge einer strategischen Neuausrichtung nehmen Firmen hohe Transaktionspreise in Kauf, um sich den Zugang zu neuer und potenziell lukrativer Medizin zu sichern. Die Pharmacyclics-Übernahme durch AbbVie ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Pharmabranche Transaktionen gezielt nutzt, um einem aufgrund von Patentausläufen drohenden Verlust der Marktexklusivität entgegenzuwirken.“
Ein Ende des Übernahmefiebers scheint nicht in Sicht. So haben sämtliche der zehn größten bereits für die zweite Jahreshälfte 2015 angekündigten Transaktionen einen Wert von über einer Milliarde US-Dollar. Ein Beispiel: Das ‚Übernahmedreieck‘ zwischen Teva Pharmaceutical Industries, Mylan und Perrigo. Teva strebt eine Übernahme von Mylan an, bot zuletzt 43 Milliarden US-Dollar. Mylan wappnet sich gegen die Übernahme mit einer anvisierten 34,1 Milliarden US-Dollar Übernahme von Perrigo.
Pharmaunternehmen interessierten sich vor allem für Unternehmen in den Bereichen Onkologie und kardiovaskulärer Erkrankungen. Dies verdeutlicht die angekündigte Übernahme von Cellectis durch Pfizer für 1,6 Milliarden US-Dollar sowie Cardinal Healths 1,9 Milliarden US-Dollar-Akquisition von Cordis. Vir Lakshman: „2014 sind die globalen Ausgaben für Krebsmedikamente erstmals über die 100 Milliarden US-Dollar-Grenze gestiegen. Vielversprechende Forschungsansätze wie Immuntherapien könnten die Attraktivität des Marktes weiter steigern.“
M&A-Niveau in der Chemiebranche unverändert
Die Chemieindustrie verzeichnete im ersten Halbjahr 2015 Deals im Wert von 16 Milliarden US-Dollar, ein ähnlich hohes Niveau wie im ersten Halbjahr 2014 (17 Mrd.). Die größte Transaktion konnte der US-Konzern FMC Corporation mit 1,8 Milliarden US-Dollar für sich verbuchen: die Akquisition der dänischen Cheminova. Besonders gesucht waren außerdem Unternehmen aus den USA, China, Japan und Deutschland.
Vir Lakshman: „Wie bereits Anfang des Jahres erwartet, befindet sich die Chemiebranche weiterhin in einer Konsolidierungsphase. Unternehmen verfolgen unterschiedliche Strategien, um ihr Portfolio zu schärfen.“ BASF forciert ihr Kerngeschäft beispielsweise durch die im zweiten Quartal angekündigte Veräußerung des globalen Paper Hydrous Kaolin Geschäfts. Dow verfolgt die gleiche Strategie, wie das angekündigte Spin-Off des Chlor-Alkali-Geschäfts für 5 Milliarden US-Dollar an die Olin Corporation zeigt. Dow und Henkel lösen bestehende Joint Ventures durch den Erwerb ausstehender Anteile auf. Auch Private Equity-Unternehmen haben die Marktdynamik beeinflusst. So kündigte New Mountain Capital den Erwerb von Zep für 700 Millionen US-Dollar an. Für den gleichen Betrag verkaufte CVC 4,7 Prozent seiner Evonik-Anteile, wodurch der Anteil frei handelbarer Aktien im Markt steigt.
Auch im Agrarchemiesektor könnte sich ein Übernahmekampf ankündigen. Der amerikanische Saatguthersteller Monsanto bot zuletzt 45 Milliarden US-Dollar für das Schweizer Agrarchemieunternehmen Syngeta. Syngeta lehnte ab, Monsanto will vorerst seine Offerte nicht erhöhen, prüft jedoch weitere Optionen.
Vir Lakshman: „Konsolidierungsaktivitäten werden auch weiterhin die Branche bestimmen, wobei die Grenzen der Branche immer fließender werden, wie angekündigte Vor- und Rückwärts-Integrationen der Automobilbranche zeigen.“ Audi beispielsweise beabsichtigt, eine Option zur Übernahme von Anteilen des französischen Biotechnologieunternehmens Global Bioenergies auszuüben, das bereits ein erdölunabhängig hergestelltes „e-benzin“ für den Ingolstädter Konzern entwickelt hat. Das staatliche Unternehmen ChemChina strebt zudem die Übernahme des Italienischen Reifenherstellers Pirelli an und bot Pirellis größtem Anteilseigner zuletzt 7,7 Milliarden US-Dollar für 26,2 Prozent der Unternehmensanteile. Pirelli scheint dieser Absicht aufgrund strategischer Wachstumsmöglichkeiten in asiatischen Märkten nicht abgeneigt, es zeichnet sich der potenziell größte grenzübergreifende Abschluss eines chinesischen Unternehmens seit 2012 ab.